26.4.: EUROPEAN HANDEL SOLOISTS – Dorotheerkirche, 1. Bez.
Die Kirche ist voll, wie bisher jede Veranstaltung der „Europäischen Händel Gesellschaft“ (mit Sitz in Wien und der rührigen „Spruchsprecherin“, die schon fast alle Besucher mit Handschlag als alte Freunde begrüßen kann) mit ihren konträren Programmen, die alle gleich attraktiv sind.
Von der Orgelempore ertönen die ersten barocken Klänge – es könnte eine Sakralkomposition sein, des Kirchenraums würdig: Tommaso Albinonis „Adagio“. Sie endet, dem Spielort gemäß, ohne Applaus. Den heimst Monika Held ein für ihre kurzen, aber unwiderstehlichen Begrüßungsworte (incl. der Einladung zum nächsten Konzert – Jiddischer Wagner – am 24.5.). Ab dem ersten Bogenstrich der 5 fabelhaften Streicher – Namensnennung ist Pflicht: Gert Schubert (Konzertmeister), Fabian Rieser (Violino II), Roland Spindler (Viola), Arne Kircher (Cello), Gustavo D’Ippolito (Bass) – ist „Handlung“ angesagt. Händels „Xerxes“-Ouvertüre ist ein Stück Drama: bedeutungsschwer, aber nicht bleiern, im langsamen Teil, kräftig bewegt im Allegro, mit herrlichem, ungemein intensivem Ton musiziert. Der glasklare Klang des von Matthias Krampe bespielten Cembalos bringt den ganzen Abend hindurch zusätzliches Leben in die satte Streicherbewegung.
Wunderbar vermählt sich diese mit Arno Raunigs wunderschönem Mezzo-Register im Rezitativ des Xerxes, ehe Händels wohl bekanntester Ohrwurm „Ombra mai fu“ einsetzt. Das ist der kampfmüde Krieger in Person, der im Schatten des geliebten Baumes Kühlung sucht und findet. Mit langem Atem wird uns dies in berückender Kantilene kundgetan. Aber schon sieht das Programm eine unwahrscheinliche Steigerung des Genusses vor: die Arie des Ritters Ramiro aus „La finta giardiniera“ – Mozart non plus ultra! In seiner übersprudelnden Lebenslust und mitreißenden Dynamik. Und mit betörendem Wohlklang.
Wenn Arno Raunig sich in Sopranhöhen aufschwingt (wie die Lerche, die sich, einmal den Fesseln entwunden, nie mehr fangen lässt „Se l´augellin sen fugge“ ) ob sinnend, jubilierend oder attackierend, so dünkt einen diese “Counter“-Stimme die natürlichste Lage der Welt. Da gibt es keine Ecken und Kanten – mühelos erfolgen weite Intervallsprünge, wechseln lyrische Passagen mit virtuosen schnellen, Brillanz mischt sich mit purer vokaler Schönheit. (Dafür verzichte ich gern einmal auch auf einen Gruberova-Abend.) Ein volles Orchester wähnt man in Händels „Sinfonia“ (aus dem 3. Akt) aus “Rinaldo“ zu hören. Diesem Ensemble zuzuhören und zuzuschauen, wie da die Kommunikation perfekt funktioniert, Dialoge geführt werden, Fangen gespielt und miteinander gescherzt oder gegeneinander rivalisiert wird – herrlich! Arno Raunig verwandelt sich in Amor. „Dafne in Lauro“ nennt sich die Opern von Johann Joseph Fux, die dem Sänger die verschiedenartigsten Emotionen zugesteht. Ja, dass Musik in erster Linie Emotionen vermittelt – wer wollte es an diesem Abend bestreiten? Er war ja mehr ein facettenreiches Bühnengeschehen als ein Konzert.
Arno Raunig
Arno Raunig & Jose Feliciano
Die „Introduzione“ aus Alessandro Scarlattis „Arianna-Kantate“ fesselt in ihrer Fröhlichkeit, die sich bis zum Übermut steigert, ehe sie in einem würdigen Andante dahin schreitet. In Ariodantes „Scherza infida“ lässt Händel den Sänger sich in wunderbaren Tiefen ergehen, um ihn in desto effektvollere Höhen empor zu hieven. Vollends verrückt (von Raunig mit den Worten „Jetzt wird’s lustig!“ angekündigt) gebärdet sich der berühmte Farinelli als Carlo Broschi, der Komponist, in der Arie „Al dolor che vo sfogando“: er jagt den Sänger von Basstiefen bis in Extremhöhen in schnellem Wechsel, und auch die Instrumentalisten überschlagen sich im Wettstreit um die Aufmerksamkeit der Zuhörer. Spätestens hier hat sich das Publikum im kalten Kirchenraum vor Begeisterung kräftig erwärmt –Jubeln und Klatschen tut der Seele gut.
Das Instrumentalensemble setzt zu einem neuen Höhepunkt an mit Mozarts Divertimento in D-Dur, bei dem pralle Lebensfreude aus allen „Nähten platzt“ – jeder Neueinsatz eines Instruments, einer Passage oder eines Tempos (heizt die Stimmung zusätzlich an und versetzt uns geradezu in einen Klangtaumel. Als mittlerweile zu neuen Kräften gekommener Xerxes räumt dann der Sopranist mit „Crude furie“ nochmals mächtig ab, zornig und verzweifelt vor Liebe und Enttäuschung, die Geister der Hölle herbeirufend. Mit „Lascia ch’io panga“ als Draufgabe sorgt er daraufhin für etwas Beruhigung, ehe das Publikum zu Wein und Trezniewski-Brötchen (mit denen und klassik oeticket arbeitet die Händel Gesellschaft zusammen) entlassen wird.
Facit: Barock-Fan könnte man werden mit diesen „7 men 4 baroque“!
Sieglinde Pfabigan
Alfred Sramek & Arno Raunig
Kammersänger Alfred Sramek, Arno Raunig, Mami Teraoka und Theo Hawlitschka beim Faschingskonzert in der Wiener Hofburgkapelle
Die Europäische Händel Gesellschaft ist 2010 gegründet worden und hat es sich zur Aufgabe gemacht außerordentliche klassische und crossover Konzerte auf höchstem Niveau zu gestalten. Natürlich darf der Namensgeber “Georg Friedrich Händel” mit seinen Werken nicht fehlen. Spielorte der Gesellschaft sind unter anderem die Wiener Hofburgkapelle, das Palais Trautson (Justizministerium), das “Alte Rathaus” in Wien, die Dorotheerkirche, der Kaisersaal oder das Palais Eschenbach. Die wenigen Konzerte der Gesellschaft im Gründungsjahr waren bereits ein überwältigender Erfolg, der durch die Auswahl der Künstler wie dem Weltstar Jose Feliciano, dem längstdienenden Kammersänger der Wiener Staarsoper Alfred Sramek, dem Sopranisten Arno Raunig oder der wunderbaren Pianistin Mami Teraoka noch unterstrichen wurde. Das Ensemble der Händel Gesellschaft hat sich in der Zwischenzeit mit Spitzenmusikern aus diversen Orchestern wie zB. den Niederösterreichischen Tonkünstlern oder den Wiener Philharmonikern formiert. Geplant und fixiert sind für dieses und nächstes Jahr nicht nur Konzertauftritte des Ensembles im In und Ausland, sondern auch die erste konzertante Opernrarität unter dem Dirigat von Heinz Prammer.
Arno Raunig/Händel-Gesellschaft